Achtsamkeit lernen
Alles schnell erledigen, am besten mehrere Dinge gleichzeitig tun. Und in Gedanken immer schon zwei Schritte im Voraus – das scheint der Trend der Zeit zu sein. Kein Wunder, dass sich viele Menschen erschöpft und gestresst fühlen. Die Fähigkeit, das Leben zu genießen, geht immer mehr verloren.
Das so genannte Achtsamkeitstraining will dieser Schnelllebigkeit entgegen wirken. Achtsam zu sein bedeutet, aufmerksam zu sein, einen Moment innezuhalten. Man versucht, voll und ganz bei dem zu sein, was man gerade macht oder empfindet. Dazu gehört auch der Versuch, einmal unvoreingenommen wie ein Kind zu sein. Offen und ohne Vorurteile auf Dinge zuzugehen und sie einfach zu betrachten.
Entwickelt wurde das Achtsamkeitstraining von dem amerikanischen Verhaltensmediziner Prof. Dr. Jon Kabat-Zinn. Er nannte die Methode „Mindfulness Based Stress Reduction“, kurz MBSR – zu deutsch: Stressbewältigung durch Achtsamkeit.
Prof. Kabat-Zinn hatte in Asien Erfahrungen mit der Achtsamkeitsmeditation und dem Hatha-Yoga gesammelt. Mit seinem Achtsamkeitstraining schlägt er eine Brücke zwischen jahrtausendealten meditativen Übungen und einer modernen Medizin, die den Menschen als Ganzes sieht. Die nachgewiesene Wirkung: Wer die Aufmerksamkeit nach innen richtet, wird automatisch ruhiger. Die Atmung wird tiefer, der Blutdruck sinkt, die Muskulatur entspannt. Der ganze Körper wird in einen Regenerationsmodus versetzt.
Mit dem Achtsamkeitstraining lernt man, gleichzeitig entspannt und auch wach zu sein. So kann man mit Alltagssituationen gelassener umgehen. Auch ungute Gedanken und Gefühle bekommt man besser in den Griff. Außerdem kann die Kommunikation mit anderen Menschen verbessert werden. Sogar Schmerzen und andere Beschwerden können durch mehr Achtsamkeit mit sich selbst reduziert werden.
Das Gute am Achtsamkeitstraining: Es kann im Alltag bei verschiedenen Gelegenheiten geübt werden.
Beim Essen: Nehmen Sie sich zum Beispiel eine Erdbeere oder ein Stück Apfel. Schauen Sie sich das Obststück genau an – so als würden Sie so etwas zum ersten Mal betrachten. Welche Farbe und Form hat es? Welche Oberfläche? Schließen Sie nun die Augen und erforschen die Frucht mit dem Tastsinn: Wie fühlt sich die Struktur unter Ihren Fingern an? Spüren Sie beim Herunterschlucken, wie die Erdbeere die Speiseröhre entlang gleitet?
Beim Gehen: Stellen Sie sich beim nächsten Spaziergang vor, dass Ihre Füße die Erde küssen würden. Das macht die Bewegung weich und fördert eine freundliche innere Haltung. Erforschen Sie die Gefühle beim Ablösen und Aufsetzen des Fußes.
Beim Reden: Sie können grundsätzlich jedes Gespräch als Achtsamkeitsübung nutzen. Versuchen Sie dem anderen genau zuzuhören und fassen Sie gelegentlich zusammen, was Sie gerade gehört haben. Lauschen Sie auch den Gefühlen und Bedürfnissen hinter dem, was gesagt wird. Halten Sie als Zuhörer aber genauso Kontakt zu sich selbst: Lehnen Sie sich entspannt zurück, atmen Sie ruhig, sorgen Sie dafür, dass Sie sich in der Situation wohlfühlen.
Besonders hilfreich ist das Achtsamkeitstraining in Stresssituationen. Fertigen Sie am besten zunächst eine Liste an: Schreiben Sie links bis zu drei Ihrer häufigsten Stress auslösenden Situationen und rechts daneben Ihre übliche Reaktion. Auf welche Reize reagieren Sie besonders? Welche Gefühle tauchen dabei auf? Bei der nächsten stressigen Gelegenheit versuchen Sie es anders zu machen: Reagieren Sie nicht sofort, sondern atmen Sie fünf Mal tief und ruhig. Treten Sie innerlich einen kleinen Schritt zurück. Versuchen Sie die Situation einmal unter einem anderen Blickwinkel zu betrachten: Könnte ich auch anders reagieren als üblich? Wie würde es mir dann gehen?
Für den Alltag gibt es noch vier gute Tipps:
1. Unitasking statt Multitasking
Telefonieren, kochen und sich gleichzeitig noch um die Enkelkinder kümmern – Multitasking nennt man das. Besser und damit gesünder ist jedoch das so genannte Unitasking: Immer nur eine Sache zurzeit erledigen – und das mit voller Aufmerksamkeit.
2. Entschleunigen
Egal was Sie tun – ob Sie gerade im Auto sitzen oder Geschirr spülen – schrauben Sie einfach 10 Prozent von der Geschwindigkeit zurück. Bemerken Sie, wie sich dabei Anspannungen lösen?
3. Pausen machen
Bauen Sie immer wieder bewusst Ruhemomente in den Alltag ein. Genießen Sie diese Zeit.
4. Medienfasten
Mal einen Tag kein Handy, kein Fernsehen und kein Computer – das tut gut. Sie werden es schnell merken.
Für das Achtsamkeitstraining braucht man nicht viel Zeit. Es reichen täglich 15 Minuten. Um Übungen zu erlernen, kann man sich auch ein Buch kaufen oder sich einem Kurs anschließen.
Zwei gute Übungen für zwischendurch
Atempause
Setzen Sie sich entspannt auf einen Stuhl oder legen Sie sich hin. Schließen Sie nun die Augen und spüren in sich hinein: Welche Gedanken und Gefühle haben Sie? Versuchen Sie die Situation anzunehmen, wie sie ist. Richten Sie die Aufmerksamkeit auf Ihren Atem. Atmen Sie einige Male ruhig und tief. Nehmen Sie dann Ihren Körper als Ganzes wahr vom Scheitelpunkt bis zu den Zehenspitzen.
Bodyscan – die Kurzvariante
Tasten Sie mit der Wahrnehmung den ganzen Körper ab. Gehen Sie von einem Körperteil in den nächsten. Nehmen Sie sich für jeden Körperteil zirka 15 Sekunden Zeit und lassen Sie alle Empfindungen zu. Beginnen Sie mit den Fußsohlen. Spüren Sie, wie die Füße den Boden berühren. Nun gleitet Ihre Aufmerksamkeit in Ihre Beine. Dann in das Gesäß, in den Oberkörper mit den Armen. Anschließend sind der Kopf und der Nacken dran.
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